(12) Itzstein (08 a + b)
Itzstein
08
Nachdem sich mehrere meiner früheren Freunde leider! von dem gemeinschaftlichen Wirken für die Sache des Volkes getrennt hatten, fand ich, bald nach meinem Eintritte in die deutsche NationalVersammlung neue Freunde.
Den allgemein Verehrten F. Raveaux, in welchem auch ich stets einen wahren Freund erkennen mußte und seine liebenswürdige Gattin stelle ich oben an.
Drei Monate lang wohnte ich mit denselben in dem Hause des Herrn Karlen zu Thierachern bei Thun und bewunderte der Frau Raveaux lebhafte Heiterkeit, ihre freisinnigen Grundsätze und ihr lebhaftes Gefühl für des Volkes Wohl und Rechte. -
Sie wird, wie ich auch die Worte eines meiner Freunde, der erst vor kurzem verstorben ist (in der Schweitz) anerkennen und gutheißen. -
" Wahrhaft gewaltig ist wer keine Gewalt scheut
und die unumschränkteste über sich selbst übt."
Ich hoffe, obschon mir bei meinem hohen Alter nur noch ein kurzes Leben zugemessen ist, Sie wieder zu sehen mit Herrn Raveaux - es schmerzt mich die Trennung von Ihnen Beiden. Die Verhältnisse gebieten sie aber. - - halten Sie mich in freundlichem Andenken!
Thierachern bei Thun J. A. Itzstein
in der Schweitz am 1. October 1849
Johann Adam von Itzstein (1775 – 1855) gehört zu den ganz herausragenden Persönlichkeiten des Deutschen Vormärzes und auch der Paulskirche. Er war die Kultfigur der parlamentarischen Linken, der Gegenkandidat zu Erzherzog Johann, väterlicher Freund Heckers, jetzt seit drei Monaten in engstem Kontakt mit Franz und Brigitta Raveaux.
„Itzstein, die edle, fein gebaute Gestalt, mit dem schönen, interessanten Kopf, den glänzenden, klugen Augen und dem feinen Mund, mit den zierlichen Silberlocken und der lebhaften Färbung des Angesichts, mit den Weltmannsmanieren und dabei mit der jugendlichen Regsamkeit und Volksthümlichkeit des Wesens - das war eine Persönlichkeit, der die Herzen vor allem zuflogen, die männlichen wie die weiblichen, eine Autorität vor allen, im Mittelpunkt der Freisinnigen." (Zimmermann, 1848, S.582-83)
„Bei den alljährlich ... stattfindenden Zusammenkünften pflegten in früheren Jahren manche der Teilnehmer an dem Orte der Zusammenkunft zu übernachten, so daß die herzoglich-nassauische Regierung mit Hülfe der polizeilichen Fremdenmeldezettel die Namen eines Teiles der Teilnehmer in Erfahrung zu bringen imstande war. Seitdem dieselbe indeß eine strenge Beobachtung der deshalb bestehenden Vorschriften in Erinnerung bringen lassen, pflegten die Teilnehmer erst im Laufe des bezeichneten Tages selbst mittels der den Rhein in allen Richtungen und zu allen Stunden befahrenden Dampfbote am Versammlungsort einzutreffen und, ohne daselbst zu übernachten und Gelegenheit zu einer polizeilichen Kontrolle ihrer Namen zu bieten, noch vor Abend wieder auf demselben Wege sich nach allen Seiten hin zu zerstreuen. An den in den letzten Jahren auf diese Weise stattgefundenen Vereinigungen sollen auch jedesmal Personen aus den diessseitigen Staaten, namentlich aus der Rheinprovinz, teilgenommen haben, ohne daß es der herzoglichen Regierung indeß in den Umständen gelungen wäre, deren Namen konstatieren zu können.“ (Hansen II, 269)
Biographie
Itzstein studierte in seiner Heimatstadt Mainz die Rechtswissenschaften. Nach einer Praktikantentätigkeit im Vogteiamt von Amorbach wurde er dort von Fürst Leiningen zum Stadtdirektor und 1808 zum Justizrat befördert. Das Fürstentum Leiningen fiel an Baden, so daß er (nach der Säkularisation) in badische Staatsdienste überwechselte. Zunächst war er Oberamtmann in Schwetzingen, dann (ab 1819) Hofgerichtsrat in Mannheim. 1822 wird Itzstein als Vertreter der Stadt in den badischen Landtag (Zweite Kammer) gewählt. –
Wegen seiner oppositionell-liberalen Haltung wollte man ihn nach Meersburg strafversetzen. Er weigerte sich – und bekommt ein Nervenleiden, das zu seiner vorzeitigen Pensionierung (im Alter von 50 Jahren) führt.
Er zog sich auf sein etwa 40 Morgen großes Weingut in Hallgarten (Rheingau, am Rande des Taunus) zurück, in der heutigen Niederwaldstraße (damals "Bingergaß"), das er 1837 von seinem Bruder übernommen hatte. Das Weingut war bereits im 18. Jahrhundert durch Einheirat in die Mainzer Kaufmannsfamilie Hardy der Familie Itzstein zugefallen.
Hier wurde er zum Begründer des Hallgarten Kreises. Die führenden demokratischen Köpfe Deutschlands trafen sich zwischen 1832 bis 1847 in seinem „Gartenhäuschen“.
Als Itzstein 1845 bei einer Reise nach Berlin, die er zusammen mit Hecker unternahm, verhaftet wurde und man ihn aus Preußen ausgewies, erregte dies einiges Aufsehen.
Itzstein war Mitarbeiter zahlreicher Zeitungen und Zeitschriften, u. a. Korrespondent der "Deutschen Tribüne" (München) und des "Bayerischen Volksblatts" (Kronau), des "Wächter am Rhein", der "Rhein- und Mainzeitung", "Der Freisinnige" (Freiburg) und "Der Zeitgeist. Ein Volksblatt für Deutschland" (Karlsruhe). Er galt (V. Valentin) als Mittler zwischen den politisch auseinanderstrebenden liberalen Gruppen …
1848 wurde er (für Nassau) in die Frankfurter Nationalversammlung gewählt, wo er sich der radikalen Linken zuordnete. Er blieb auf seinem Posten bis zur militärisch erzwungenen Auflösung des Parlaments (in Stuttgart). Von dort aus begab er sich nach Hallgarten zurück, wo er seiner Verhaftung nur entgehen konnte, weil er sich in einem leeren Weinfass versteckte, das mit Stallmist abgedeckt war. Auf einem Ochsenkarren erreichte er so den Rhein, wurde mit einem Nachen nach Ingelheim gebracht – und gelangte von hier aus über die Pfalz nach Südbaden. Zusammen mit Raveaux u.a. erreichte er Anfang Juli die schweizerische Grenze.
Nach einigen Tagen hatten Raveaux, Itzstein und ihre Frauen auf dem Gut des (radikalen) Nationalrats Johann Karlen in Thierachern (Mühlenmatt), im Berner Oberland am Thuner See, eine Bleibe gefunden – für die nächsten drei Monate. In paradiesischer Landschaft zum ersten Mal Ruhe, Nachdenken über die verganenen Monate und Jahre. Die vormärzlichen Briefe, die Adam Itzstein geschrieben und empfangen hat – und die Gespräche mit Raveaux hier in Thierachern, es gäbe wohl keine wichtigere Quelle für die ganze 48er Forschung.
Ludwig Simon (aus Trier), der die beiden in Thierachern besucht, beschreibt einen Ausflug mit Raveaux in die Berge - und den Alltag der doch relativ kurzen Zeit, die Raveaux in der Schweiz nur beschieden war:
„Eigentlich hatten wir nichts zu tun, aber der bewegliche Raveaux kam nie zur Ruhe. Bald mußte ich mich zu ihm setzen und Notizen über die jüngste Vergangenheit feststellen; bald arbeiten wir an der Frage, wie in die täglich dringender hervortretende Unterstützungsangelegenheit Ordnung und Leben zu bringen sei. Auch von einer Parlamentsgeschichte war die Rede. Aber wir sahen ein, daß es dazu noch zu frühe sei. Vor der Hand erschien uns die Abfassung wahrheitsgetreuer Memoiren das Richtige; ... fiel doch in unsere Wunden noch täglich neue Bitternis hinein. Eines Morgens, als wir beim Kaffee saßen, brachte man das Thunerblättchen; Raveaux nahm es und las mir die politischen Neuigkeiten daraus vor. Plötzlich fiel ihm das Blatt aus der Hand. Wilhelm August von Trützschler war am 24. August in Mannheim erschossen worden …“ (Aus dem Exil, Band I)
Das gegen Itzstein angestrengte Verfahren wegen Hochverrat wurde eingestellt, so daß „Vater Itzstein“ bald auf sein Gut nach Hallgarten zurückkehren durfte. Als körperlich uns seelisch gebrochener Mann erreichte er den Rheingau - und starb 1855 (80-jährig) in Hallgarten, wo er auch begraben liegt.
nicht bei Fiedler;
ADB 14, 649-650 (von Friedrich Weeck)
NDB 4, 418
NDB 5, 24
NDB 10, 206
Deutsche Biographische Enzyklopädie 5, 267
Best-Weege 188
Obermann, Karl u.a. (1967): Biographisches Lexikon, 227/28
www.Rheingau-Chronik.de
Nachlass / persönliche Papiere im Bundesarchiv Koblenz (Bestand der ehemaligen Außenstelle Frankfurt): Diese E-Mail-Adresse ist gegen Spambots geschützt! JavaScript muss aktiviert werden, damit sie angezeigt werden kann.
Ebenso: Bundesarchiv Berlin: Diese E-Mail-Adresse ist gegen Spambots geschützt! JavaScript muss aktiviert werden, damit sie angezeigt werden kann.
Hammerschmidt, M. (1843): Zum Neuen Jahr 1843 an H. v. Itzstein. Leipzig
Anonym (1844): Das Itzstein - Fest. Mannheim (C. Schmelzer), 50 S.
Vgl. auch:
Fröbel, Julius (Hrsg. 1845): Deutsches Taschenbuch. Erste Jahrgang. Zürich u. Winterthur (Verlag des literarischen Comptoirs), Titel, 356 S., 1 Tafel in Stahlstich (Bildnis Abraham v. Itzstein).
Erste Ausgabe des ersten von zwei erschienenen Jahrgängen dieses revolutionären Taschenbuchs. Es enthält sieben Beiträge im Erstdruck, darunter Gottfried Kellers frühesten Gedichtzyklus "Lieder eines Autodidakten" (Baechtold 5 f.), A. H. Hoffmann von Fallerslebens Gedichtfolge "Diavolini" (Goed. XIII,365,46), den Aufsatz "Politik und sociales Leben" vom Herausgeber und Leiter des Literarischen Comptoirs, J. Fröbel (Goed. Fortführung 2/1729,15) und "Vier Gedichte" ("Prinz Redner") von Robert Prutz. Ferner einen Bericht über das Itzstein-Fest zu Mannheim 1844 sowie 2 pseudonyme Beiträge: "Die Phalanxterrier und der Jesuit Ginlio. Drei Tage aus dem Jahre 1945" von "Janus Pansophus" (d.i. Johann Müller) und "Hans von Katzenfingen und seine Frau Tante. Naturwüchsiges Heldengedicht" (Erster Gesang) von "Appelles Storchschnabel" (d.i. Reinhold Solger).- Köhring 113; Keller 191; Goed.-Fortführung 2/1729,15.
Itzstein, Johann Adam von (1845): Ein freies Wort über die Ausweisung der badischen Abgeordneten v. J. Izstein und Hecker aus Preussen. Leipzig
Anonym (1845): Ein völkerrechtliches Wort aus Veranlassung der Ausweisung des Hofgerichtsraths von Itzstein und des Dr. Hecker aus Preussen. Berlin
Heinzen, Karl (1845): Oeffentliche Dankadresse deutscher Preußen an die Herren von Itzstein und Hecker: begleitet von einem geheimen Manifest russischer Preußen gegen das deutsche Volk. Coblenz (Xaver & Kuhlmann), 32 S.;
Klötzer, Wolfgang (1956): Johann Adam von Itzstein. Zur Rheingauer Säkularfeier seines Todestags, in: NassA 67, S. 262
Klötzer, Wolfgang (1957): Um Freiheit und deutsche Einheit. Unbekannte Itzsteinbriefe aus dem Vormärz. In: Darstellungen und Quellen zur Geschichte der deutschen Einheitsbewegung (grüne Reihe), S. 119-155
Rosskopf, Josef (2000): Kritische Überlegungen zu zentralen Aussagen der Hallgartener Madonna, Tintenfass - Schreibmotiv oder Weinkrug - Traubenmotiv / Der Hallgartener Kreis um Johann Adam von Itzstein. In: Einblicke in die Geschichte von Oestrich-Winkel, Oestrich-Winkel, Herausgeber Stadt Oestrich-Winkel
8b (= verso 8)
Geduld ist eine königliche und eine weibliche Tugend.
Völker lernen sie durch die Regierung, und die
Frauen Regieren durch sie.
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Leben Sie wohl meine theure Frau Raveaux
und Glauben Sie daß ich immer Ihre treueste
Freundin bleiben werde. Vergessen Sie
Niemals Ihre Louise Pfister
Hallgarten am 11. October 1852
Louise Pfister war die Lebensgefährtin von Itzstein. Itzstein an Jucho: "ob ich zuerst mit Fräulein Pfister auf mein Gut gehe, um einige Tage in stiller Ruhe zuzubringen ... weiß ich noch nicht" (am 20.4.1848).